Loki – Ein provokanter Vortrag
von Gunivortus Goos
Ein Vortrag der in den Jahren 2016 und 2017 an mehreren Orten gegeben wurde

Sie schmeicheln mir, wenn Sie an diesem Vortrag teilnehmen. Es freut mich sehr, Sie alle begrüßen zu dürfen.
Bevor ich anfange, Ihnen von Loki zu erzählen, kann eine kurze Vorbemerkung hilfreich sein.
Dieser Vortrag geht über den nordischen, der Wikingergott, Loki.
Wenn Sie wirklich nichts über Loki wissen, sind Teile dieses Textes für Sie möglicherweise weniger verständlich. Wenn es dennoch Ihr Interesse weckt, zögern Sie nicht, später Fragen zu stellen oder nach weiteren Informationen zu suchen. Derartige Wissensinhalte sind auch gar nicht absonderlich, denn die frühen germanischen Völker und die späteren Wikinger beherrschten über einen Zeitraum von etwa 1300 Jahren große Teile Nord-, West- und Mitteleuropas. Sie drangen auch in Ost- und Südeuropa ein, ja, sie ließen sich sogar in Nordafrika nieder. Daher ist es nicht abwegig, über diese frühe Geschichte ein bisschen mehr als nur ein paar Stichwörter oder betrügerisches oberflächliches Wissen zu wissen.
Soweit diese Anfangsbemerkung … während dieser Vortragstext geschrieben wurde, fielen mir nicht so schnell andere einführende Worte ein; um ehrlich zu sein, sind diese auch dazu da, um einige Stimmübungen zu machen und meine Stimme in Schwung zu bekommen, bevor ich mit Sätzen über Loki loslege.
Als eine Art Einführung beginne ich jetzt mit einer Geschichte aus dem bekanntesten Buch über nordische Mythologie der Wikingerzeit, genannt Edda. Für diese Geschichte ist es nicht notwendig zu wissen, dass diese Edda tatsächlich zwei literarische Werke verschiedener Autoren sind. Mehr dazu später.
Der Mythos:
Die drei Asengötter Odin, Hönir und Loki wanderten einmal umher, und als sie Hunger bekamen, und nichts zu essen hatten, schlachteten sie einen Ochsen aus einer Herde, die in einem Tal weidete. (Aus der Geschichte wird nicht klar, ob sie dafür den Bauern zuvor fragten und dafür auch zahlten, oder das einfach illegal machten). Als sie das Fleisch aber zubereiten wollten, wurden sie dabei durch Zauberkräfte eines großen Adlers behindert. Der Adler, der oben in einer Eiche saß, war in Wirklichkeit der Riese Thjazi, der seine Gestalt gewandelt hatte. Der wollte den Zauber erst dann aufheben, wenn die drei Götter ihm versprachen, dass er mitessen dürfte. Als ihm dies gestattet wurde, flog er herunter, und griff sich sofort die besten Fleischstücke. Diese Habgier fand Loki ärgerlich, und er schlug mit einem Stock nach dem Vogel. Durch Zauberkunst blieb der Stock sowohl an dem Adler als auch an Loki kleben, und als der Vogel dann aufflog, zog er Loki mit sich. Erst als der unter diesem Druck der Gefangenschaft versprach, dem Riesen die Göttin Idunna zu bringen, bekam er seine Freiheit zurück. Als er dann sein Versprechen einlöste, und Idunna dem Riesen auslieferte, fingen die Götter an zu altern, denn für ihre ewige Jugend brauchten sie die Äpfel der Idunna. Offenbar waren entweder mit Idunna auch ihre Äpfel verschwunden, oder die spezielle Wirkung der Früchte brauchte Idunnas Berührung.
Deshalb wurde Loki ultimativ aufgefordert die Göttin zurück zu holen. Im Falkengewand Freyjas flog er zur Burg des Riesen, verwandelte Idunna in einen Nuss (es ist nicht bekannt ob das nun eine Haselnuss, eine Walnuss oder irgendeine andere Sorte Nuss war), und flog mit der Nuss im Schnabel so schnell er konnte zurück nach Asgard. Der Riese verfolgte ihn und kam immer näher. Loki erreichte aber gerade rechtzeitig die Mauern Asgards und dort bekam er Hilfe; Thjazi wurde von den anderen Göttern getötet, kurz bevor er die Mauern Asgards erreichte.
Die Tochter des Riesen, Skadi, war freilich sehr entzürnt darüber, und zog aus gen Asgard um ihren Vater zu rächen. Darauf schlossen die Götter ein Abkommen mit Skadi: Sie durfte sich aus den Göttern einen Ehemann aussuchen, sollte dabei aber nur die Füße der verfügbaren Kandidaten sehen können. Außerdem wurde vereinbart, dass die Götter Skadi zum Lachen bringen sollten. Aus der Fußwahl wurde Njord zu Skadis Gemahl, obwohl sie vielleicht auf Balder gehofft hatte, und sie gebar ihm die Wanengötter Freyr und Freyja. Die Ehe dauerte nicht lange, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Die andere Bedingung, um Skadi zum Lachen zu bringen, war wahrscheinlich problematischer, als die Götter gedacht haben, weil sie erst nach einer ziemlich extremen und schmerzhaften „Leistung“ funktionierte. Zum Lachen bringt sie Loki, der das eine Ende eines Strickes an den Bart eines Ziegenbocks bindet und das andere Ende an seine Hoden. Das darauf folgende Schauspiel bringt sogar Skadi zum Lachen.
Soweit diese ‚eddische’ Geschichte. Versuchen wir jetzt besser Letzteres über den armen Loki und den Ziegenbock, welches ihnen jetzt wahrscheinlich als ein lebendige visuelle Darstellung durch den Kopf spuckt, auszutreiben ….
Dieser Vortrag enthält sowohl historisch-mythologische Aspekte, als auch einige psychologische und religiöse Erörterungen, Kommentare und Annahmen. Das jetzt schon zu wissen, mag nützlich sein für den kritischen Zuhörer.
Es gibt manche Artikel und Bücher über den Gott Loki, einige sind von wirklich hoher Qualität. Aber wenn Sie vielleicht erwarten oder hoffen würden, hier und jetzt eine vollständige Aufklärung über diesen Gott zu erhalten, könnten Sie sich enttäuscht fühlen, nachdem ich diesen Vortrag beendet habe, vielleicht sind Sie es sogar schon vorher.
Die Informationen über Loki, die Sie hier erhalten, sind so in etwa meiner persönlichen, sowohl bewussten als auch unbewussten Wahl – sie kamen zu mir wie es mir meine Laune eingaf.
Sie ergibt sich aus Interpretationen, Überzeugungen, Meinungen und ähnlichen zweifelhaften Ansätzen.
Sie stellt Bekanntes dar, aber auch weniger Bekanntes und dies wird skizzenhaft diskutiert. Zudem versuche ich zu provozieren, wenn nicht offensichtlich, dann unterbewusst und unterschwellig. Und ärgern Sie sich bitte nicht, wenn das Wörtchen ‚fragwürdig’ oder ein vergleichbarer Begriff öfters auftaucht, das eine Unsicherheit ausdrücken soll; solche Irritationen können die Gesundheit belasten.
Geben sie sich bitte stattdessen offen, denken sie mit und legen sie ihr festes Wissen um Loki vorübergehend ab, wenn sie solches haben, damit sie sich am Ende nicht von ihm oder mir an der Nase herum geführt fühlen.
Zu behaupten, die Geschichte und die Mythologie der Germanen seien mehr als unvollständig, wäre noch eine Untertreibung. Gerade wohl deshalb gibt es schon seit Jahrhunderten sowohl von Forschern als auch von gut informierten Laien eine beeindruckende Liste von Spekulationen, Interpretationen und anderen Erklärungsversuchen bezüglich der Geschichte der Germanen in fast allen Bereichen. Beeindruckende, teilweise sogar überzeugende Darstellungen werden vorgestellt, können oft eine ganze Weile Bestand haben, bis sie dann wieder mit wenigen Sätzen von anderen Forschern aufgrund neuerer Forschung, neuerer Theorien oder geänderter Ansichten zunichte gemacht werden und als überholt gelten. So auch über Loki. Nehmen sie daher meine Worte nicht als das Nonplusultra der Erkenntnis – nun ja, sie können das machen, bis auch sie wieder überholt werden.
Noch etwas zur Erklärung ………
Wie am Anfang schon kurz angedeutet:
Die Hauptquelle für die Mythen der nordisch-germanischen Völker ist die Edda. Dabei handelt sich um einen Namen, der eigentlich zwei Bücher bezeichnet, einen Lieder-Teil und einen Prosa-Teil. Für den Prosa-Teil ist der Isländer Snorri Sturluson verantwortlich, der von 1178 bis 1241 lebte. Sein Werk, das auch bekannt ist als die „Jüngere Edda“ sollte eine Handreichung für Sänger, Erzähler und Dichter darstellen, die Skalden. Dazu sammelte er Mythen und bearbeitete sie entsprechend. Die Lieder-Edda besteht aus einer Sammlung von Gedichten unbekannter Autoren.
Mit dieser kurze Erläuterung soll auch der vorhin verwendeter Begriff ‚eddisch’ jetzt erklärt sein.
Die Mythen über Loki kommen fast alle aus diesen Werken.
Dann will ich jetzt erst einmal, zugegebenermaßen etwas skizzenhaft, erzählen, wie Loki in den letzten Jahrhunderten wissenschaftlich und religiös dargestellt wird……. Wenn Sie solche Sachen schon längst meinen zu wissen, dann schließen sie bitte die Augen, atmen langsam ein und aus und werden sie ruhig und ruhiger, damit auch sie ohne irgendwelche Verärgerung wieder aufgewärmten Geschichten zuhören können. Dabei können sie gerne ein virtuelles Bier trinken oder eine Tasse Kaffee visualisieren.
Nach den gängigen Mythen ist Loki einer der germanischen Götter. Seine Eltern waren vermutlich beide ‚Riesen’, verheiratet ist er mit Sigyn, mit ihr hat er die Söhne Narfi und Vali. Letzteres ist aber umstritten, oftmals wird auch gemeint, dass es sich nur um einen Sohn handelt.
Ihm wird manchmal unterstellt, er sei der Blutsbruder Odins.
Dennoch, nicht mit Odin, sondern mit Thor ist Loki viel unterwegs. Öfters um durch ihn selbst verursachte Probleme zu lösen, aber auch um Schwierigkeiten anderer Götter zu bereinigen. Darüber gibt es viele Geschichten.
Mit der Riesin Angrboda zeugt er die Midgardschlange, den Fenriswolf und die Totengöttin Hel.
Auch Odins berühmtes achtbeiniges Pferd Sleipnir ist ein Kind Lokis, welches er gebar in Gestalt einer Stute.
Als er den blinden Gott Hodur dazu bringt einen Pfeil aus Mistelholz auf den Gott Balder abzuschießen, stirbt dieser. Von den anderen Göttern wird Loki dann gejagt, und festgebunden gefangen gesetzt. Die Göttin Skadi hängt über ihm eine Giftschlange auf, deren Gift auf ihm herabtröpfelt und starke Schmerzen verursacht. Deshalb sitzt seine Gattin Sigyn neben ihm und fängt das Gift in einer Schüssel auf.
Die nordische Mythologie kennt auch eine Weltuntergangsmythos, oft kurz mit dem Namen Ragnarök bezeichnet. Da findet eine letzte Schlacht statt, in der mancher Gott stirbt und die Welt versinkt. An diesem Tag wird Loki wieder frei kommen und auf dem Schlachtfeld neben seinen ‚Monsterkindern’ und den Riesen gegen die anderen Götter kämpfen. Im Kampf mit dem Gott Heimdall töten beide einander.
Loki bringt andere Götter durch seine Streiche oft in Probleme, löst diese Probleme dann, oftmals gezwungen von den anderen Göttern, auch selber wieder durch seinen Listigkeit.
Ihm wird äußere Schönheit, Listenreichtum, Schläue, Bösartigkeit und teuflisches Handeln zugeschrieben. Auf Grund ein solcher Darstellung spricht man auch über „Loki, den ‚Trickster’“. Später mehr über letztgenannten Begriff.
Viele, die der germanischen Religion Asatru anhängen, manchmal auch ’nordisches oder germanisches Heidentum‘ genannt, fühlen sich mindestens unbehaglich, wenns um Loki geht. Andere, oft auch außerhalb der Gruppen dieser Religionsanhänger, ‚outen’ sich gerade auffallend als Verehrer Lokis, Lokianer nennen sie sich, und meinen das gut zu unterstreichen, indem sie entsprechend der Gothic-Mode gekleidet und geschmückt sind. Weltuntergangsgedanken sind manchmal auch dabei präsent. Dennoch gibt es innerhalb der Asatru auch seriöse Verehrer Lokis, genauso wie andere Odin oder Freyja verehren.
Andere Namen für Loki, die von einigen Forschern akzeptiert, von anderen als fragwürdig angesehen werden, sind z.B. Lodur (Lóðurr), Loghe, Loptr, in Flandern und den Niederlanden heißt er Lodder und auch Kludde, in England kennt man ihn unter dem Namen Lok.
Dass es zu den Namen für Loki sehr unterschiedliche Auffassungen unter den Forschern gibt, zeigt z.B. eine ausführliche Erklärung des Autors E.J. Gras aus 1931, in der er Argumente dafür präsentiert Loki und Loðurr als ein und denselben Gott zu betrachten. Wenn man dann die lapidare Bemerkung des österreichischen Forschers Rudolf Simek dazu nimmt: „Versuche Loðurr mit Loki zu verbinden ….. sind nicht überzeugend“, dann fragt man sich doch, was alles an Gras’ Beweisführung nicht überzeugend sein könnte. Denn wirklich klar wird das von Simek nicht gemacht.
Derartige gegensätzliche Standpunkte bezüglich Aspekten aus der nordischen Mythologie gibt es öfters und leider passiert es auch öfters, das Argumente nicht mit Gegenargumenten beantwortet, sondern einfach ohne seriöse Begründung abgelehnt werden.
Nach den meisten mittelalterlichen nordischen Quellen wurde Loki kaum verehrt, und wenn, dann vermutlich auch nur lokal und in sehr bescheidenen Umfang in Skandinavien und Island, wenn überhaupt.
Dennoch ‚lebt‘ Loki in mehreren Sprachen:
Mit dem isländischen Sprichwort „Da ist ein Loki drin“, wird ein stark verwickelter Faden gemeint. Der Name Loki wird auch im Begriff „Lokabrenna“ erkannt, und bedeutet Hundstagshitze, manchmal auch mit „Sirius“ übersetzt, der Stern mit dem Namen am Himmel. Lokabrenna kann übersetzt werden mit ‚Lokis Feuer‘.
In Norwegen ist Loki verknüpft mit dem Herdfeuer. Wenn der Ofen prasselt, sagt man in Norwegen, dass Loki seine Kinder schlägt. Wenn Essensreste ins Feuer geworfen werden, sagt man manchmal, ‚das ist für Lokje‘.
Obwohl heutzutage die Verbindung von Loki mit dem Feuer von verschiedenen Forschern als mindestens fragwürdig gesehen wird, inzwischen von vielen sogar abgelehnt, verdankt diese Verbindung hierzulande ihre Popularität insbesondere dem Komponisten Richard Wagner mit seinem Opernepos »Der Ring der Nibelungen«, der darin ‚Loke‘ einen Feuergott nennt.
Soweit in Kurzform und sicherlich nicht vollständig, über Loki, sowie er meistens gesehen wird. Ergänzend sollte dazu noch bemerkt werden, dass wir die populäre Darstellung der Rolle Lokis um Balders Tod hauptsächlich dem englischen Anthropologen und Autor James Frazer verdanken. Er schrieb ein monumentales mehrbändiges Werk mit dem Titel „The Golden Bough“ und darin ist als Band 7 das Buch „Baldr the Beautiful“ erschienen. Das Problem bei seiner Darstellung des Balder-Mythos’ ist, dass Frazer sich nicht bemüht hat alle bekannten mittelalterlichen Versionen um Balders Tod, die doch reichlich unterschiedlich sind, zu sammeln und darauf zu bauen, sondern er hat sich auf lediglich eine Version des Mythos’ beschränkt und zwar die des Snorri Sturlusons. Daraus leitet er dann aber einen ganzen Balderkult in heidnischer Zeit ab. Obwohl so eine Vorgehensweise in Forscherkreisen schon längst als falsch anerkannt ist, ist der so bekannt gemachte ‚Frazer‘-Mythos weiterhin als allgemeingültig im Umlauf.
Dass diese und andere bekannte Darstellungen Lokis mindestens fragwürdig sind, soll im nachfolgenden Teil auch deutlich gemacht werden.
So fange ich einmal an mit der gängigen Auffassung, dass Loki den blinden Gott Hödur dazu bringt einen Mistelzweig-Pfeil auf Balder zu schießen, und dieser dadurch stirbt. Dies ist auch die einzige Möglichkeit ihn überhaupt zu verwunden, für alles andere hatte seine Mutter, die Göttin Frigg oder Frigga, ihm unverletzbar gemacht.
Es handelt es sich bei dieser Geschichte um eine isländische Legende, die Mistel aber hat es als Pflanze auf Island (jedenfalls zu der Zeit) nie gegeben. Daher ist dieser Mistelpfeil schon fragwürdig.
In einer Balder-Mythos aus dem 12. Jahrhundert, aus dem Lateinischen Werk „Gesta danorum“ (Die Taten der Dänen) ist die Rede von den zwei Brüdern, Hotherus und Balderus, die um die Liebe einer Frau wetteifern. Nach verschiedenen Schlachten und Kämpfe tötet Hotherus seinen Bruder Balderus mit seinem Schwert. Obwohl aus dieser Geschichte keinen Namen für Hotherus‘ Schwert überliefert worden ist, wird manchmal behauptet, das es dasselbe Schwert sei, über das in der isländischen Saga von Hromund Gripsson erzählt wird – der Name dieses Schwertes ist ‚Mistilteinn‘ (Mistel).
Es wäre möglich, dass der Prosa-Edda-Verfasser Sturluson Teile dieser Saga und der ‚Hotherus‘ Mythe in seine Version des Balder-Mythos’ einwebte, die Geschichten gab es jedenfalls zu seiner Zeit schon, und dadurch die Mistel in die Geschichte hineingeschrieben wurde. Wenn es aber ein Schwert gewesen sein soll, mit dem Balder getötet wurde, dann würde das die Verfechter von Lokis Anteil bei Balders Tod vor Probleme stellen.
Der Gott Hödur ist im Übrigen nur in einer Version der Balder-Mythen blind, nämlich nur in der Version von Snorri Sturluson; auch das stellt Lokis Rolle beim Tod Balders wieder in Frage.
Und zum Abschluss dieses Aspektes: Es ist wahrscheinlich, dass Snorri Sturluson die damals schon bekannte keltische Sage „Aided Fergusa“, kannte – schließlich gab es zu seiner Zeit schon seit mehreren Generationen Kelten auf Island. In dieser Sage verführt Aillil aus Eifersucht den blinden Lugaid dazu, den Fergus, mit dem er wie ein Bruder aufgewachsen ist, mit seinem Speer zu töten. Die Vermutung liegt dann auf der Hand, dass Sturluson auch mit Hilfe dieser keltischen Sage versucht hat, einen unvollständigen Mythos um Balders Tod zu vervollständigen.
Ein zweiter Aspekt aus den bekannten Loki-Mythen ist, dass er ein Riese sein soll, der bei den Göttern lebt; damit zusammenhängend wird oftmals auch gemeint, er sei dennoch kein Asengott.
Wir kennen aus der germanischen Mythologie die zwei Götterfamilien, die Asen und die Wanen. Und dann ist auch noch die Rede von Riesen, wovon einige auch als Götter angesehen werden. Außer Loki ist Skadi bekannt als Riesin, und die Gattin des Gottes Freyr, Gerd, ist ebenfalls eine Riesentochter.
Das Wort ‚Riesen’ ist die Übersetzung für das altnordische Wort Jötnar‘, Singular ‚Jötunn‘, als Jötun eingedeutscht, manchmal wird auch Jöte geschrieben. Ihr zuhause ist die Welt Jötunheim. Die Korrektheit der Übersetzung von Jötun nach Riese ist jedoch fragwürdig. Auf Altnordisch gibt es schon die drei ‚alltäglichen‘ Worte „gjør“, „gýgr“ (denke dabei an: Giant), und „risi“ für „Riese“. Für Riesin gibt es dazu auch noch ‚gýgr‘ und ‚íviðja‘.
Jöte auch noch mit Riese zu übersetzen ist im Nachhinein dann gar nicht logisch und nachvollziehbar, es ist möglicherweise auch falsch.
Es gibt daher einiges zu sagen für die Auffassung, dass Asen, Wanen und Jöten drei Göttergeschlechter sind. Das würde auch die vielen Ehen, die zwischen diesen drei Geschlechtern stattfinden, viel erklärbarer und weniger abartig machen. Einige Beispiele dazu:
- Die Mutter des Asengottes Odin ist Bestla und sie ist eine Jötin,
- bei seinem Vater Borr ist es nicht so ganz deutlich zu welchen der mythischen Geschlechter er gehört.
- Von Odin und der Jötin Jord kommt der Asengott Thor.
- Der Meeresgott Njord, ein Wanengott, heiratet zuvor die Jötin Skadi.
- Der Wanengott Freyr heiratet die schöne Jötin Gerdr.
- Der Vater Lokis, ‚Fárbauti‘, ist ein Jöte, die Hintergrund seiner Mutter ‚Laufey‘ ist unbekannt.
Loki und Odin haben daher vermutlich ein ähnlicher Hintergrund bezüglich ihrer Eltern und es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass beide sowohl Asen als auch Jöten sind.
Die dazu entsprechende Überlegung, dass die Jöten möglicherweise das älteste Göttergeschlecht sind, wäre einer näheren Betrachtung wert.
Von Loki wird behauptet, er sei Odins Blutsbruder. Es gibt dazu einen ziemlich klaren Hinweis
dass das stimmen könnte. Ziemlich am Anfang der Lokasenna, ein Lied der Lieder-Edda in dem Loki zu den versammelten Götter auf dem Feier des Meerriesen Ægir spricht, steht:
Erinnerst Du es Dir noch Odin, das vor
langer Zeit wir beide unser Blut vermischten;
und Du dabei versprachst kein Bier einzuschenken
wenn das nicht an uns beide serviert wurde.
Odin verneint das nicht, aber, vielleicht als Bestätigung für Lokis Worte befiehlt er, das Loki einen Platz zwischen den anderen Göttern bekommen soll.
Anderseits aber …
In Strophe 46 des Grimnismál, (Das Lied Grimmirs), eines Gedichts der Lieder-Edda, erzählt Odin, der dort auftritt unter dem Pseudonym Grimmir, andere Namen unter denen er bekannt war:
Grim hieß ich, und Gangleri,
Herjan und Hjalmberi,
Thekk und Thridi,
Thud und Ud,
Helblindi und Har.
Und in der Gylfaginning, einem Kapitel der Prosa-Edda, wird vermeldet, dass die beiden Brüder Lokis Býleistr and Helblindi heißen. Das könnte damit erklärt werden, das Loki und Odin Brüder sind, die jedenfalls ein Elternteil gemeinsam haben. Das aber würde wieder zu neuen Spekulationen führen bezüglich der Eltern der beiden, Bor und Bestla, und Fárbauti and Laufey; welche der Namen könnten Pseudonyme sein? Ein Elterteil müsste dann zwei der genannten Namen tragen.
Wir kennen Loki als einen listenreichen und oftmals bösartigen Gott. Der bösartige Teil soll aber, wenn man verschiedenen Forschern folgt, nicht immer Teil seiner Persönlichkeit gewesen, sondern erst in späteren Zeiten von Skalden, den Sängern, Dichtern und Geschichtenerzählern der nordischen Völker, seinem Charakter hinzugefügt worden sein.
In den Mythen, in denen Loki vorkommt, spielt er meistens die wichtigste Rolle. Man denke dabei z.B. an die Geschichte, in der Loki einen Otter tötet. Dadurch kommen die drei Götter Odin, Hönir en Loki selber in Schwierigkeiten, die dann aber auch wieder von Loki gelöst werden. Soll der Gott, der in so vielen Begebenheiten eine wichtige, oft lösungbringende Rolle spielt, von Anfang an bösartig gewesen sein? Hätten die anderen Götter ihn dann nicht viel früher verstoßen?
Kurz zurückgehend zum Anfang dieses Vortrages, wo über Loki, Idunna und Thjazi erzählt wurde….
Die ganze Loki-Thjazi Mythos wurde anscheinend geschrieben in einer Zeit, als die Sicht auf Lokis Charakter sich schon im ungünstigen Sinne geändert hatte, aber es sind doch noch klare Erinnerungen bewahrt geblieben an seinen Ruhm.
Aber davon mal abgesehen, die Loki-Thjazi Mythe besteht großteils aus Märchenstoff. Es ist sehr fraglich, ob außer den drei Götternamen überhaupt eine ältere Volkssage dem zugrunde liegt, oder sie Ende des 9. oder Anfang des 10. Jahrhunderts von den Skalden Diodolf von Kvinir gänzlich selber bedacht wurde und im 13. Jahrhundert von Snorri Sturluson in seine Prosa-Edda aufgenommen oder hineininterpretiert wurde.
Die Elemente
- Das Fleisch, dass nicht gar werden will,
- Loki, der an dem Adler festgeklebt ist,
- Gestaltwandlungen
sind alles bekannte Märchenmotive. Skaði ist das Mädchen, das nicht lachen oder sprechen will, eine ebenso bekannte Märchenfigur z.B. aus dem Märchen „Die zwölf Gebrüder“, deren Schwester nicht sprechen oder lachen durfte. Die Art, wie sie sich einen Ehemann auswählt, erinnert an Aschenputtel im Märchen, die von dem Prinzen an ihrem Fuß erkannt wird.
Der ganze Mythos zeigt sich uns als eine Anzahl lose mit einander verbundener Märchenmotive. Sie werden aneinander gereiht wie Perlen an einer Schnur, willkürlich aufgegriffen, keines gehört zum andern und keines zum Wesen der Geschichte — sie sind deshalb wahrscheinlich als spätere Ausschmückung zu betrachten. Die Märchenmotive sind wohl vom Erzähler eingebunden, damit er eine klare, fesselnde und zur damaligen Zeit passende Geschichte bieten konnte. Die ganze Darstellung ist auch etwas unzusammenhängend und unvollständig. Dazu kommt noch, dass das dem Edda-Mythos zugrunde liegende altnordische Gedicht Diodolfs sehr schwierig zu verstehen und zu interpretieren ist, es gibt nur sehr wenig Spezialisten, die sich überhaupt daran gewagt haben. Die Inspiration für das Gedicht bekam dieser Skalde von einer Zeichnung auf einem Schild, der ihm geschenkt worden war. Er interpretierte in dieses Bild als drei Götter und ein Riese. Sein Lied fängt in der erste Strophe an mit einer Danksagung für das Geschenk, in der 2. Strophe beginnt er mit seiner Geschichte:

Ohne die Interpretationen in der dritten Spalte wirkt das Gedicht unverständlich. Und wir sind nicht sicher, ob die modernen Interpretationen dort richtig sind, denn sie sind am ehesten gerade aus der Geschichte der Prosa-Edda aus dem 13. Jahrhundert entnommen – das heißt, die spätere Geschichte wird benutzt um das Jahrhunderte ältere Skaldenlied zu deuten. Es ist dabei durchaus möglich, dass Snorri Sturluson eben dieses altes Gedicht verwendete, um seine eigene Version der Geschichte zu erstellen. Wenn das stimmt, haben wir es hier mit einem schönen Zirkelschluss zu tun.
Es hat dabei auch den deutlichen Anschein, dass Snorris aus Märchenmotiven aufgebauter Thjazi-Mythos nach einem alten Schema erstellt wurde:
Ein Konflikt entsteht, (Óðinn, Hœnir und Loki gegen Thazi), durch Schlauheit wird der Feind besiegt, (Thjazi’s Tod). Das gleiche Schema bildet auch die Grundlage für mehrere andere Lokimythen.
Vor allem in alten Volkssagen kommt so einer Kette an bekannten Märchenmotiven aber kaum vor, und deshalb sind wohl viele dieser Mythen tatsächlich professionelle Arbeit von Skalden und Schriftstellern – ob sie dabei nun ältere Erzählungen in mündlicher oder schriftlicher Form als Quelle benutzten oder ganz aus eigener Inspiration und Begabung den Geschmack ihres Publikums trafen, bleibt in den meisten Fällen unbekannt.
Von den Farörinseln kommt die längere Ballade „Lokka Tattur“ (Loki’s Taten) in dem Loki ein listenreicher, aber sicher kein bösartiger Gott ist. In diese Ballade, die von einem Konflikt zwischen einem Menschen und einem Riesen handelt, wird geschildert wie Loki, nachdem es Odin und Hœnir misslang das Problem zu lösen, mit Hilfe seines Listenreichtums dem Menschen gegen dem Riesen hilft.
Loki handelt hier ohne böse Absichten für derjenigen, dem er hilft.
Das Alter dieses Gedicht kann nicht eindeutig festgestellt werden, sowohl Ansichten einer Herkunft aus der frühen Wikingerzeit, als auch eine Zeit, nachdem die Wikingerzeit schon länger vorbei war, werden verteidigt. Wenn eine ältere Herkunft korrekt wäre, dann würde es die Sichtweise unterstützen, dass es ‚einen Loki ohne Bösartigkeit‘ gegeben habe.
Und so gibt es an mehreren Stellen wirklich Anlass sich zu fragen, ob Loki nicht im Laufe der Zeit seine bösartigen Züge untergeschoben bekommen hat. Genügte Loki vielleicht nicht dem Kriegerideal der spätnordischen Adligen und hat das vielleicht sein zuvor gutes Ansehen verändert? Denn Loki kommt bei vielen Auseinandersetzungen zwar als Gewinner hervor, nicht aber durch Kraft und Kampf, sondern durch Listenreichtum und Intelligenz, die wohl von dieser Schicht der nordischen Adligen der späte Wikingerzeit nicht hoch geschätzt wurden.
Wie oft haben sich die Mythen generell im Laufe der Zeit nicht geändert? Sie werden von den Erzählern jedesmal am Verständnis und die moralischen Auffassungen des zeitgenössischen Publikums angepasst.
Lassen wir es im Moment – eventuell vorübergehend – dahingestellt, dass es eine Zeit gab, in der Loki noch nicht alles Böse in die Schuhe geschoben bekam, sondern nur listenreich war. Wäre es wirklich so absonderlich zu denken, dass die Probleme, die die verschiedenen Gottheiten in den Mythen bekamen, ursprünglich nicht von Loki verursacht wurden, sondern von diesen Göttern selber? Logisch wäre, dass Loki, als der Listenreiche, dann dazu gerufen wurde, die Probleme am Ende zu lösen. Dass diese Vorkommnisse an sich dann später Loki auch als Verursacher zugeschrieben wurden, würde zum Niedergang seines Rufes schon passen.
Für die Verteidigung von Asgard, der Welt der Götter, würde ein nur listenreicher Loki auch viel besser passen: Thor, der mit seine ungeheuerlichen Kräften und seinen Wunderwaffen Feinde zerschmettert und Loki, der seine Schlauheit einsetzt als Problemlösung. Kraft und Listenreichtum…… das passt jedenfalls schon zu dem, was wir über die Germanen aus der Vor-Wikingerzeit wissen.
Und da wir jetzt doch dabei sind verschiedene Sichtweisen bezüglich Loki anzufechten …
Auch die Annahme, Loki sei ein Feind der Asengötter kann mit einem Fragezeichen versehen werden. Dass er auch als ein Asengott gesehen werden kann, wurde vorhin schon dargestellt. Auch die üblen Taten, die Loki zugeschrieben werden, können ihm also sehr gut im Laufe der Zeit unterschoben worden sein. Wenn beide Argumente akzeptiert werden, wird so eine pauschale Feindschaft schon klar im Frage gestellt.
Dann bleibt aber noch Lokis Rolle bei Ragnarök, der letzten Schlacht in der manche Götter sterben und die Welt versinkt. Nach Sturlusons Prosa-Edda schließt Loki sich dem Heer der Feinde Asgards an, aber an anderer Stelle ist nur die Rede von einem Schiff, das Loki steuert um zum Schlachtfeld zu gelangen. Auch wieder in Sturlusons Beschreibung töten Loki und Heimdall einander in dieser letzten Schlacht. In anderen Beschreibungen wird das nicht mal erwähnt. Aber auch wenn das stimmen würde, dann macht das Loki nicht automatisch zur Feind aller Götter Asgards, es macht ihm nur zum Feind Heimdalls … und vielleicht noch weniger anderer, die mitgeholfen haben ihn gefangen zu setzen.
Im Skaldengedicht Húsdrápa, das dem Skalden Ulf Uggason, der in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts lebte, zugeschrieben wird, gibt es die Geschichte der “Singasteinn“ (singender Stein); entweder soll das auf irgendein Juwel deuten, oder auf ein Stück Land, vielleicht eine Insel, auch bekannt unter den Namen ‚Meeresniere‘. Loki und Heimdall wetteifern miteinander in der Gestalt von Seerobben um den Besitz dieses Gegenstandes. Es ist in Lokis Besitz und Heimdall raubt es ihm.
Es gibt hier die vage Überlegung, dass es sich bei dieser Gegenstand handelt um Brisingamen, der Schmuck der Göttin Freyja – Loki soll ihn gestohlen haben und Heimdall soll ihn dann bei Singasteinn wieder Loki abgenommen haben. Diese Gedanke ist aber eine reine Vermutung, die nicht von Hinweisen aus den alten Mythen unterstützt wird. Diese ‚Brisingamen-Ansicht‘ gehört vermutlich eher zu den modernen Versuchen in die altnordischen Mythen eine zusammenhängende Logik hinein zu projizieren. Die Geschichte erzählt nur, das Heimdall Loki etwas Wertvolles abnimmt. Kein Wunder, dass Loki dann sauer auf Heimdall ist.
Vielleicht, weil Loki und Heimdall also bei Singasteinn miteinander kämpften und Snorri das interpretierte als eine fortlaufende Feindschaft, schien es Sturluson ein guter Gedanke, die beiden ein letztes und entscheidendes Mal kämpfen zu lassen. Dies würde zu Sturlusons Zweck seiner Mythendarstellung der Prosa-Edda gut passen:
Ein Skaldenbuch, ein Buch für Sänger und Erzähler – und eine gute Geschichte soll den Zuhörern auch ein befriedigendes Ende bieten.
Aber lassen wir diese ‚Fehde‘ zwischen Loki und Heimdall hinter uns und richten jetzt das Auge auf den Mythos, in dem Loki Thors Gemahlin Sif die Haare abschneidet. Hat er das wirklich getan? Oder ist ihm das auch erst viel später, bei seiner ‚Verteufelung’ untergeschoben worden? Könnte Thor es vielleicht selber getan haben – schließlich scheint er einen ziemlich aufbrausenden Charakter zu haben. Oder hat Sif es selber getan und Loki dessen beschuldigt, vielleicht um einen Keil zwischen die beiden Gefährten zu treiben, die, ihrer Meinung nach, zu oft und zu lange gemeinsam unterwegs waren?
Aber nehmen wir mal an, Loki hat es tatsächlich getan. Weshalb? Keine Ahnung. Vielleicht hat sein Kumpel Thor etwas zuviel mit den Qualitäten seiner Frau geprahlt? Wollte Loki Thor deshalb ein wenig necken?
Jedenfalls, in dieser Geschichte, in der Loki die Haare Sifs abschneidet und anschließend Zwerge mit Erfolg beauftragt goldenes Ersatzhaar für Sif zu schmieden, zeigt Loki sich als ein Wesen, das gerne neckt in Form von Spielereien, aber auch als ein Wesen mit großen übernatürlichen Kräften und dazu auch noch fähig, Zwergen befehlen zu können.
Einer Göttin die Haare abzuschneiden ist tatsächlich eine Spielerei, wenn man das vergleicht mit den Taten Thors, der Riesen den Schädel zerschmettert, oder Odin, der ganzen Menschenheeren Sieg und Leben oder Untergang und Tod beschert, wie in anderen Mythen erzählt wird.
Ist Loki letztendlich also tatsächlich nur ein freundlicher, listenreicher Gott, der gerne einmal ein wenig necken mag? Wenn wir dabei das Sprichwort dazu ziehen ‚was sich liebt, neckt sich’, dann könnte daraus die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Loki in Wirklichkeit die anderen Götter mag.
Klar, dass auch neckende Gutmütigkeit ihre Grenzen hat; das zeigt Loki dann mit seiner Entrüstung in seiner giftigen Rede zu den versammelten Göttern auf dem Fest des Meerresriesen Ægir. Dort zeigt er sich erstaunlich detailliert informiert über heimliche Intimitäten und andere Taten der anwesenden Götter, Sachen, die diese wahrscheinlich lieber vergessen gesehen hätten.
Von Odin wissen wir, dass er seine Informationen von den beiden Raben Hugin und Munin bekommt, die dazu täglich ausfliegen. Aber woher hat Loki sein großes Wissen der göttlichen Geheimnisse? Neben seinen anderen Fähigkeiten ist er anscheinend auch ein Gott des geheimen Wissens.
Wenn Loki tatsächlich der Gott der ‚Practical Jokes’ ist, der Gott der gerne Streiche spielt, dann macht das ihn sicher nicht zu dem nordischen Equivalent des christlichen Teufels, wie es ihm manchmal unterstellt wird. Nein, dann ist er eher als Trickster zu betrachten.
Zu diesem Begriff eine Erläuterung:
Ein Trickster ist eine Gestalt, die sich zwielichtig, gewieft und vieldeutig darstellt, deren Handlungen jedoch nicht bloß destruktiv sind, sondern auch psychische und seelische Wandlungen im Zustand einer Person bewirken und die Vernunft anregen.
Nicht immer, aber oft ist der Trickster mit den Schöpfergottheiten verwandt, bei den Indianern ist der Trickster Coyote der jüngere Bruder vom Haupt- und Schöpfergott Wolf, in der germanischen Mythologie sind Odin und Loki (Bluts-)Brüder.
Nach einer Mythe haben Odin, Hönir und Lodur die ersten Menschen geschaffen. Wenn akzeptiert wird, dass Lodur ein älterer Name für Loki ist, und das tun viele Forscher, obwohl es ein umstrittenes Thema ist, dann ist Loki also beteiligt an der Schöpfung der Menschen; Odin haucht den ersten Menschen das Leben ein, Hönir gibt ihnen ihre Seele und von Loki haben wir unsere Lebenswärme und gesundes Aussehen. Dann aber haben wir alle sicher etwas von Charakter des Tricksters mitbekommen, das Teil unseres Wesens ist! Das wird womöglich der Grund sein, weshalb wir alle imstande sind andere zu necken, zu piesacken, zum Narren zu halten und zu betrügen.
Das soll, nebenbei bemerkt, aber keine Legitimierung sein für zwielichtiges Handeln!
Beispiele für Trickster sind in der griechischen Mythologie Hermes, der Gott der Diebe, Reisenden und Kaufleute, bei mehreren indianischen Mythen ist es Coyote und dann gibt es auch noch Guahayona, ein Gott der Taino-Indianer, ein Volk der Großen Antillen. Vom Guahayona ein kurzes Beispiel:
Guahayona raubt gemeinsam mit seinem Schwager die Frauen eines Fürsten und flüchtet mit ihnen über das Meer. Alle Frauen außer einer lässt er auf einer Insel zurück, aber mit der, die ihm am besten gefällt, begibt er sich zu einer anderen Insel.
Einerseits ist das ein böser Tat, anderseits bringt er sie aus sklavenähnlichen Verhältnissen in neue Lebensgebiete, wo sie frei sind und neue Herausforderungen angehen können.
Der Trickster ist kein Held, keine Ausnahmefigur, der alle anderen überragt, sondern steht eigentlich für das Leben an sich, das so oft unverständlich ist, ja sogar manchmal grausam und das dennoch durchkommt.
Der Trickster in den verschiedenen Mythologien der Welt ist derjenige, der zuletzt lachen kann, denn er kommt letztendlich auf irgendeiner Art und Weise als Gewinner hervor.
Ein Merkmal von Trickstern in der Mythologie ist auch, dass sie für andere Götter direkt oder auf Umwegen magische Gegenstände erwerben die andere Götter dann bekommen. Durch Loki bekommt Freyr sein Schiff, Odin seinen Speer Gungnir und das Pferd Sleipnir und Thor seinen berühmten Hammer Mjölnir. Auch wenn magische Sachen abhanden gekommen sind, bringt der Trickster sie durch seinen Listenreichtum wieder zurück, wie bei Loki z.B. den Hammer Thors, der gestohlen wurde.
Auch die vielen Stellen in den Mythen, wo Loki die anderen Götter zum Lachen bringt, kennzeichnen ihn als Trickster, aber nicht nur das;
Loki ist auch der Grund, dass es unter den Göttern nicht zur Behäbigkeit, zur Stillstand und zur Lustlosigkeit kommt. Er hält sie auf Trab und schmiedet sie immer wieder zusammen, auch wenn er selber dafür den Kopf hinhalten muss, selber Schmerzen erleiden muss. Mit Loki ist immer etwas los, Lokis Taten erwecken immer aufs Neue die Leidenschaft der Götter. Er kann ziemlich grausam sein, aber jedes Mal lernen die Götter daraus und dazu. Wir müssen es uns aber schon bewusst sein, das die Geschichten der nordischen Mythologie die damaligen Zuhörer ansprechen mussten. Was wir heutzutage grausam finden, war in der damaligen Gesellschaft kaum etwas Besonderes – das soll aber nicht zum Irrtum verführen, unsere Gesellschaft als weniger grausam zu betrachten, denn das ist sie nicht. In vielerlei Hinsicht ist sie sogar noch grausamer.
Alles in allem scheint es akzeptabel, Loki als Trickstergott anzusehen.
Lokis Taten haben also sicher Sinn und Zweck. Daher sollte Loki auch für uns ein Beispiel sein nicht zu lange mit Erreichtem zufrieden zu sein, sondern weiter zu machen, offen zu bleiben für neue Erfahrungen und neue Herausforderungen anzugehen. Denn sonst kann auch bei uns der Trickster zuschlagen, und das kommt dann besonders hart an, weil wir an der Stelle dann gerade gar nicht darauf vorbereitet sind.
Ja sicher, Loki vermittelt häufig auch heute noch Angstgefühle und Unbehagen. Aber gerade diese Gefühle brauchen wir auch, denn sie bringen uns oft dazu über unsere geistigen Mauern zu schauen, unsere Grenzen zu verlegen und sie machen uns unserer Beschränkungen bewusst. Loki fordert uns dauernd heraus und schert sich nicht um irgendwelche Grenzen des Anstands, des Benehmens oder des angeblichen nicht-Könnens. Durch ihn werden wir konfrontiert mit unseren eigenen Schattenseiten, und wer sich selber schöner sieht als die Realität es erlaubt, der sollte sich nicht wundern, wenn der Trickster auftaucht – mit unangenehmen Folgen.
Der selbstbewusste Asatrumensch vergisst Loki daher nicht, wenn er oder sie die Götter würdigt. So wie Sigyn auch in sehr schwierigen Zeiten zu Ihrem Gatten Loki hält, so sollten auch wir das zu Loki tun.
Wenn es um Loki geht, wird fast immer von einem skandinavischen Gott gesprochen, der unter den Menschen keine Verehrer hätte. Er soll anderswo nicht bekannt gewesen sein. Das steht aber garnicht so fest, wie es vielleicht auf dem ersten Blick den Anschein hat.
In Gebieten, wo zuvor westgermanische Völker lebten, kannte man ein übernatürliches Wesen, bekannt unter den Namen Kludde, Lodder, Lode und Luke (Loeke), und dieses Wesen zeigt in den Volkssagen auffallend große Übereinstimmung mit dem Loki aus den nordischen Mythen. Das Wesen mit Namen Kludde geht z.B. in Flandern und den Niederlanden um und jagt den Menschen Schrecken ein. Mehrere Forscher erklären u.a. über Namensableitung, durch die gemeinsame Sympathie für Wasser und Fische und weil beide sich manchmal auch in Pferde verwandeln, dass dieses Wesen Loki sei. Es gibt verschiedene Sagen über Lodder oder Kludde, die tatsächlich typische Loki-Streiche beschreiben. Ein Beispiel:
Einige Bauernknechte müssen acht Pferde von der Weide in den Stall bringen. Es hat sich aber ein neuntes Pferd dazugefügt. Weil die Männer nicht wissen, wem es gehört, sollte auch dieses zum Stall gebracht werden. Der jüngste Knecht reitet auf diesem Pferd. Als sie einen Bach an einer untiefen Stelle durchqueren, zerfällt das Pferd in zwei Teile, und der Knecht fällt ins Wasser, während im gleichen Moment Kludde am anderen Ufer erscheint, und den patschnassen Knecht auslacht.
Auch in England kannte man Loki. Wer ihn nach England gebracht hat, ist nicht eindeutig nachvollziehbar, vielleicht die Bataven in römischem Kriegsdienst, wenn angenommen wird dass sie ihn schon als Lok oder Luk kannten. Oder vielleicht waren es die Angeln und Sachsen die Loki mitbrachten, als sie nach England emigrierten. Beide sind aber luftige Spekulationen, weil sie nicht von Be- oder Hinweise unterstützt werden. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Wikinger ihn dorthin brachten, als sie sich in einigen Gebieten Britanniens niederließen. Auch das hat keine weitere Grundlage.
Aber dass man dort Loki kannte, zeigt sich in der dort gefundenen Zauberformel:
Father, son and Holy ghost,
Nail the devil to this post.
Thrice I smite with Holy Crock,
With this mell I thrice do knock,
One for God,
And one for Wod,
And one for Lok.
Übersetzt:
Vater, Sohn und heilige Geist,
nagele den Teufel an diesen Pfahl.
Dreimal werfe ich die heilige Scherbe,
mit dieser Axt schlage ich dreimal,
einmal für Gott,
und einmal für Wotan,
und einmal für Loki.
Dabei sollte es sich um eine alte Frau gehandelt haben, die, um ihren Enkel zu heilen, drei Hufeisen auf ein Brett nagelt, während sie diesen Spruch sagt.
Welche Rolle Loki im Einzelnen bei den germanisch-keltischen Inselbewohnern gespielt hat, ist nicht klar. Wenn man aber die Charaktereigenschaften, die als typisch britisch eingestuft werden, betrachtet, dann öffnet das ein ganz neues Spekulationsgebiet. Sollte der Begriff ‚Practical Joke’ nicht gerade von dort kommen? Das mag doch zu einigen provozierenden Gedanken führen:
Der Zauberer Merlin, der dem verliebten König Uther Pendragon das Aussehen des Lords von Cornwall verleiht, damit er ins Bett der verheiratete Ygraine gelangen kann, wo er den guten König Arthur zeugt. In dieser selben Nacht stirbt der Lord von Cornwall in einer Schlacht – wenn Uther noch kurz gewartet hätte, wäre die ganze Maskerade überflüssig gewesen. Und dann Arthur, der später wieder von seinem unehelichen Sohn Mordred erschlagen wird…. ist das nicht eine Geschichte, Lokis würdig?
Wenn man Loki der Geschichte Englands hinzufügt, wäre Vieles dort vielleicht besser erklärbar und verständlicher.
Jetzt verlassen wir England und widmen uns einem letzten Loki-Thema …
Es ist fast immer der Rede von Loki als Gott, also männlich. Aber als Stute gebar er Odins Pferd Sleipnir. Und dann gibt es ein altes Weib, dass sich weigert für den gestorbenen Balder zu weinen – wenn alle lebendigen Wesen dafür weinen, durfte Balder aus Hel nach Asgard zurückkehren. Diese alte Frau wird interpretiert als eine Gestalt Lokis.
Loki ist also imstande wahlweise sowohl männlich als auch weiblich zu sein. Daher ist es gar nicht so abartig ihn mindestens als androgyn zu sehen, also zweigeschlechtlich. Dies hätte er dann mit dem griechischen Hermes gemein.
Wenn wir in diesem Zusammenhang zurückdenken an der Geschichte am Anfang dieses Vortrages, wo Loki seine Hoden mit dem Bart einer Ziege verbindet, dann würden alle Männer sofort denken an die entsetzlichen Schmerzen, die das wohl mit sich gebracht haben muss. Wenn Loki hier aber weiblich denkt, dann mag das instinktive männlich-beschützende Denken um diese Geschlechtsteile eine wohl weniger wichtige Rolle gespielt haben, es mag Loki sogar erst dazu gebracht haben, es überhaupt freiwillig zu tun!
Wenn wir in Betracht ziehen, dass die nordischen Mythen aufgeschrieben sind von Männern in einer Gesellschaft, die schon über tausend Jahre klar von einer Männerherrschaft dominiert wurde, patriarchalisch ist dafür das bekannte Wort, eine Gesellschaft, wo die Rolle der Frau klar untergeordnet war, dann mag das auch ein Grund gewesen sein, Loki als exklusiv männlich darzustellen. Die Vorstellung, dass auch eine Frau an der Schöpfung der Menschen beteiligt gewesen sein könnte, mag damals für fast alle Menschen undenkbar gewesen sein. Für viele ist sie das heute noch.
Mit diesen Überlegungen nähert sich dieser Vortrag seinem Ende. Zuvor wurde von Loki gesprochen, der Sif, Thors Frau, die Haare abgeschnitten hatte. Da nicht jeder diesen ganzen Mythos kennt, schließe ich mit dieser Geschichte, in der Loki mit seiner Klugheit in Schwierigkeiten gerät, aber dank seiner Schläue sich auch mit relativ geringem Schaden davon rettet. Diese Geschichte erzählt auch, wie verschiedene Götter ihre magischen Werkzeuge durch Loki erhalten haben.
Als der neckische Loki Thors Frau Sif die Haare abgeschnitten hatte, forderte Thor ihn ultimativ auf, das wieder in Ordnung zu bringen. Loki ließ darauf von einigen Zwergen einer neuen Haarpracht für Sif erstellen. Die Zwerge fertigten außer dem Haar auch noch das magisches Schiff Skídbladnir und den Speer Gungnir.
Loki wettet dann, mit seinem Kopf als Einsatz, mit dem Zwergen Lokkr, dass dessen Bruder Sindri nicht imstande sei drei gleich vorzügliche Gegenstände zu erschaffen.
Die Herausforderung wird angenommen. Während Sindri schmiedete, bediente Lokkr für ihn der Blasebalg. Loki verwandelte sich in einer Fliege und stach Lokkr in die Hand. Der hielt den Blasebalg aber gut fest, und so entstand Freyjrs Eber Gullinbursti. Beim nächsten Gegenstand stach Loki Lokkr in den Hals, aber auch das half nicht, und Odins Ring Draupnir entstand. Beim dritten Gegenstand aber stach Loki Lrokkr in sein Augenlid und das schmerzte so, dass er den Blasebalg kurz losließ. Das ist der Grund das Thors berühmte Hammer Mjölnir so einen kurzen Griff hat.
Dann gingen sie gen Asgard und die drei Asengötter Odin, Thor und Freyr sollten feststellen, wer die Wette gewonnen hätte. Zuerst stellte Loki seine drei Gegenstände vor und er schenkte Odin den Speer, Thor bekam die goldene Haare für seine Frau Sif und Freyr bekam das Schiff, das, wohin es auch fuhr immer einen günstigen Wind haben würde, sobald die Segeln hoch gezogen waren, es konnte auch so klein zusammengefaltet werden, dass Freyr es in seine Tasche stecken konnte.
Dann war Brokkr an der Reihe und er schenkte Odin den Ring, der jede neunte Nacht acht gleich schwere goldene Ringe heruntertropfen ließ. Freyr schenkte er den Eber, der schneller als ein Pferd laufen und sowohl durch die Luft als auch über Wasser gehen konnte und dabei soviel Licht werfen, dass er sogar in der dunkelsten Nacht sehen vermochte. Den Hammer bekam Thor und der Zwerg sagte dazu, dass Thor diesen soweit werfen konnte wie er möchte, der Hammer würde immer zu ihm zurückkehren und sein Ziel nie verfehlen. Dabei konnte er den Hammer so klein machen, dass er ihn unter seinem Hemd tragen konnte.
Die drei Götter urteilten, dass der Hammer der beste Gegenstand war von allen gezeigten wertvollen Sachen, weil er die beste Verteidigung war gegen die Frostriesen.
Daher urteilten sie, das Lokkr gewonnen hatte. Darauf bot Loki an, seinen Kopf zurückzukaufen, aber der Zwerg wollte davon nichts wissen. Als Loki das hörte, sagte er dem Zwerg, dass er ihn dann doch zuerst greifen müsste und mit Hilfe seiner Flügelschuhe floh er.
Der Zwerg bat Thor Loki zu fangen und Thor ergriff ihn und übergab ihm Lokkr. Als dieser Lokis Kopf abschneiden wollte, hielt dieser ihm vor, dass er zwar Recht auf seinen Kopf habe, nicht aber auf seinen Hals. Der Zwerg gestand das ein und dann nahm der Zwerg einen Draht und ein Messer und wollte Löcher in Lokis Lippen stechen, um den Draht durchzufädeln, aber das Messer schnitt nicht. Dann sagte Brokkr, dass es besser wäre, wenn er die Ahle seines Bruders hätte. Und kaum hatte er das gesagt, als die Ahle schon da war und Löcher in Lokis Lippen steckte. Dann fädelte der Zwerg den Faden durch und band seine Lippen zusammen. Aber Loki zog dann den Faden aus den Löchern. Daher kam Loki bei diesem Abenteuer ‚nur’ mit zwei zerrissenen Lippen davon, einer für die Zeit sehr milden Strafe.
Wer sich wirklich gründlich mit der Figur Loki beschäftigen möchte, dem- oder derjenigen möchte ich folgendes Buch nahe legen, eine einzigartige und tiefgehende Studie von Yvonne S. Bonnetain mit dem Titel: „Loki, Beweger der Geschichten“.
Das wars, ich bedanke mich für das Zuhören.
Gunivortus Goos
(Zuvor bekannt unter dem Pseudonym GardenStone)