Lif und Lifthrasir

von Gunivortus Goos
Usingen, 2025

Lif und Lifthrasir – koloriert von GG https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Líf_and_Líffthrasir_by_Lorenz_Frølich.jpg

Lif und Lifthrasir, altnordisch: Lífþrasir, sind Figuren der nordischen Mythologie, die wir aus den beiden Eddas kennen. In den entsprechenden Mythen bilden sie den Anfang der ‚neuen Menschheit‘; die alte Welt war zerstört und eine neue Welt entstanden, die wieder neu bevölkert werden musste.

Es gibt zwei Quellen in denen Lif und Lifthrasir erwähnt werden:

1. In der Poetischen bzw. Älteren Edda, im Wafthrudmirlied, steht in den Strophen 44 und 45:

Odin:

„Viel zog ich herum, viel versucht ich, viel erprobt ich die Ratenden; wer von den Menschen lebt, wenn der berüchtigte Fimbulwinter bei den Wesen vorbei ist?“

Wafthrudnir:

„Lif und Lifthrasir, aber sie werden sich verbergen im Walde Hoddmimirs; Morgentau haben sie als Speise, und daraus gehen die Generationen hervor.“

Aus: Arnulf Krause, Die Götterlieder
der Älteren Edda, Stuttgart, 2006, S. 80

2. In der Prosa-Edda bzw. Edda des Snorri Sturluson, steht im Hauptteil Gylfaginning, Abschnitt 53, in dem es um die Zeit nach Ragnarók (dem Weltuntergang) geht:

Dazu sagte Gangleri: „Leben dann noch irgendwelche Götter, und gibt es noch eine Erde und einen Himmel?“ Der Hohe sagte:

<…..>

Und an dem Ort, der Hoddmimirsholt heißt, verbergen sich zwei Menschen vor Surts Lohe, die Lif und Lifthrasir heißen. Ihnen dient der Morgentau als Speise. Und von diesen Menschen stammen so viele Geschlechter ab, daß sie die ganze Welt besiedeln. So wie es hier heißt:

….. Hier wird anschließend der schon unter 1. genannte Abschnitt aus der Poetischen Edda zitiert.

Aus: Arnulf Krause, Die Edda des Snorri Sturluson,
Stuttgart 1997, S. 78, 79

Líf und Lífthrasir sind die Namen des Menschenpaares – Lif ist ein weiblicher Name, Lifthrasir männlich – das in der nordischen Mythologie als einziges die Götterdämmerung und die damit verknüpften Katastrophen übersteht und nach dem Ende der apokalyptischen Ereignisse, bei denen die Welt untergeht, die neue fruchtbare Erde mit seinen Nachkommen neu bevölkert.

Versteckt hatten sie sich an einem Platz der Walde Hoddmimirs bzw. Hoddmimirs Holz genannt wird. Eben dieser Platz war anscheinend geschützt gegen das zerstörerische Feuer des Feuerriesen und Feindes der Asengötter Surt.

Über die Bezeichnung „Hoddmimirs Holz“ haben sich schon viele Fachspezialisten geäußert. Ziemlich generell wird angenommen, dass Hoddmimir ein anderer Name für den weisen Riesen Mimir ist, der am Mimirs Brunnen wohnt, am Fuß des Weltenbaums Yggdrasil. Entsprechend soll dann Hoddmimirs Holz eine andere Bezeichnung sein für diesen Baum. Das bedeutet das Lif und Liftrasir sich im Baum Yggdrasil versteckt hatten. Wahrscheinlich war das auch die einzige Stelle die vor den katastrophalen Ereignissen, die mit Ragnarök zusammenhängen, geschützt war. Das hat der Baum sehr wahrscheinlich dem Umstand zu verdanken, dass er nicht ausschließlich Teil der Erde war. Strophe 31 des Grímnismál, Teil der Poetischen Edda, besagt:

Drei Wurzeln ziehen sich nach drei Seiten hin unter der Esche Yggdrasil; Hel wohnt unter einer, unter der zweiten die Reifriesen, unter der dritten die Menschen.

Aus: Arnulf Krause, Die Götterlieder
der Älteren Edda, Stuttgart, 2006, S. 94.

Yggdrasil - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yggdrasil.jpg

Damit sind schon einige der Neun Welten aus der nordischen Mythologie angedeutet, Helheim, Jötunheim, die Riesenwelt, und Midgard, die Welt der Menschen.

Nach der Gylfaginning reichen Teile des Yggdrasil in noch mehr solche Welten, auch Asgard, die Welte der Asen ist dabei, wahrscheinlich auch die restlichen Welten.

Da nach den Mythen nur die Erde (Midgard) untergeht (und wieder neu entsteht) – die anderen Welten sind anscheinend nicht betroffen – ist nachvollziehbar, dass Yggdrasil ein sicherer, von Katastrophen ausgenommener Platz war. Schon merkwürdig, denn der Endkampf zwischen den Göttern und deren Feinden soll in Asgard stattgefunden haben.

Der Baum Yggdrasil ist jedenfalls somit eng verknüpft mit der (neuen) Menschheit.

Die nordische Mythologie ist ziemlich einzigartig im dem Sinne, dass sie zwei ‚erste‘ Menschenpaare kennt. Das erste Menschenpaar sind Ask und Embla. Diese beiden – der Name Ask bedeutet ‚Esche‘, die Bedeutung von Embla ist unsicher, auch wieder, Mann und Frau – bekommen ihr ‚Mensch-sein‘ durch Gaben die ihnen von drei Göttern verliehen wurden, einer davon ist Odin. Eine Mythe besagt, dass sie aus dem Holz zweier Baumstämme geschaffen wurden, die am Meeresstrand lagen. Die beiden, Ask und Embla, sind das Gründerpaar der ‚ersten Menschheit‘ der ‚alten‘ Welt.

Ask undEmbla – optimized by GG - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sölvesborg_Ask_och_Embla2.jpg

Es liegt auf der Hand, dass Forscher Vergleiche anstellten mit der biblischen Schöpfungsgeschichte, sowie mit ähnlichen Erzählungen aus anderen Mythologien der Welt. Das wäre dann aber wieder ein anderes Thema, das hier weiter nicht verfolgt wird.